„Pechvogel und Glückskind“

Posted on Feb 6, 2016 in Presse

Ein Kuss mit Folgen

Für ihre CD mit Musik und Sprache zum Märchen »Pechvogel und Glückskind« hat die Edition See-Igel zur Abwechslung mal nicht zu den Brüdern Grimm gegriffen. Der Stoff stammt aus den »Träumereien an französischen Kaminen«, in denen der als Chirurg berühmt gewordene Richard Volkmann unter dem Pseudonym Richard Leander selbst ersonnene Märchen festhielt – wohlgemerkt während seines Einsatzes als Militärarzt im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71.

In seiner Sprache lehnt sich Volkmann-Leander – und Text-Bearbeiterin Ute Kleeberg mit ihm – eng an den schlichten, etwas altertümelnden Stil der Brüder Grimm an. Vordergründig kommen die Geschichten auch mit einer ähnlich schlichten Botschaft daher. Doch steckt in ihnen als Neuschöpfungen eines Mediziners und Wissenschaftlers ein subtiler psychologischer Hintersinn.

So auch in »Pechvogel und Glückskind«: Der vom Unglück verfolgte Trauerkloß und die stets fröhliche Königstochter scheinen wie Verkörperungen psychischer Zustände. Als sie ihn in einem Anfall von Mitleid küsst, schlagen die Vorzeichen um: Nun strahlt er vor Freude, während sie nicht aufhören kann zu weinen. Und ihr Vater, der König, ist ratlos: Wie kann die Wirkung des Kusses zurückgeholt werden?

Der aus Zürich stammende Schauspieler Samuel Weiss, Ensemble-Mitglied am Hamburger Schauspielhaus, fühlt sich als Sprecher sensibel in die Stimmungen ein. Das mädchenhaft Unbeschwerte des Königskinds legt er genau- so präzise in seine Stimme wie den Zorn des Königs über den unbedachten Kuss.

So kostbar wie der Kuss selbst ist die Musik, die in die Geschichte verwoben ist. Erlesene Kammermusik von Gabriel Fauré, Reinhold Glière, Benjamin Godard und Bruno Maderna ist das, gespielt von dem US-Amerikaner Peter Orth am Klavier und Matthias Lingenfelder an der Geige. Zart wie Gaze entfalten sich die zwischen Melancholie und Heiterkeit schwebenden Stimmungswelten – wo- mit sich in der Musik die beiden psychologischen Pole dieser Geschichte begegnen. In ihrem verträumten Gestus lässt diese Musik anklingen, was die Geschichte selbst nur sehr dezent andeutet: dass die Versöhnung der gegensätzlichen Stimmungswelten letztlich nur durch die Liebe gelingen kann. Ein schönes, nachdenkliches Stück um das geheimnisvolle Wechselspiel von Heiterkeit und Traurigkeit, das mit Streichquartettmusik von Joseph Wihtol, gespielt vom Auryn Quartett, in einen höfisch eleganten Rahmen eingebettet wird. (akr)

SAMSTAG, 23. JANUAR 2016 – REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER   Armin Knauer